Walbeck unter dem Hakenkreuz

Der Nationalsozialismus mit seinen furchtbaren Auswüchsen wütete auch im Gelderland, auch in den kleinsten Dörfern. Walter Dyckx und der Heimat- und Verkehrsverein Walbeck legten jetzt erstmals ein Werk auf, das das Leben von 1933 bis 1945 ausführlich darstellt.

WALBECK Die junge Frau hatte es fast geschafft. Die 20-jährige Jüdin wollte über die Grenze zu ihrem Onkel. Einen Steinwurf von dessen Haus entfernt musste sie nur noch unter den Zaun kriechen. Doch sie wird von Zöllnern abgefangen. Jakob Schopmans, Wirt in Walbeck, schildert die ergreifende Geschichte in seinen „Erinnerungen“. Er hatte Nachtwache im Bürgermeisteramt, um bei Fliegeralarm die Sirene zu betätigen. „Weil ich als Wachhabender doch die Verantwortung hatte, hatte ich die Absicht, sie in der Nacht laufen zu las- sen, um ihr Leben zu retten mit der Entschuldigung, sie hätte zur Toilette gemusst und ist dann ausge- rissen. Als Christenmensch wollte ich auch noch Kopf und Kragen riskieren, um sie über die Grenze zu schmuggeln. Aber es kam anders. Unser ängstlicher Bürgermeister Körschgen sperrte sie in das einzige Amtszimmer, dessen Fenster mit einem Eisengitter versehen war. Er nahm den Schlüssel mit. Aus war der Traum von meinem Rettungs- dienst. Am anderen Morgen wurde das hübsche Mädchen von der Gestapo abgeholt und einige Tage spä- ter mit anderen in das KZ von Auschwitz transportiert, wo man sie dann in den Gasofen stieß.“ Der Nationalsozialismus mit all seinen furchtbaren Auswüchsen wütete auch im Gelderland, auch in den kleinsten Dörfern. Mit „Walbeck unter dem Hakenkreuz“ legen Autor Walter Dyckx und der Heimat- und Ver kehrsverein erstmals ein Werk auf, welches das Leben von 1933 bis 1945 ausführlich darstellt. Eine Zeit, die in den historischen Arbeiten bisher eher ein weißer Fleck ist. Nur wenige Seiten wurden dem Thema gewidmet, zudem fiel der Blick dann eher auf das Kriegs- ende und die Befreiung. Der in Brühl lebende Heimatforscher Walter Dyckx ist seinem Heimatort Walbeck noch immer innig verbunden und sammelt und forscht alles über Walbeck, was er finden kann. Er hat- te die Archiv-Arbeit zum Thema abgeschlossen, als Corona und der erste Lockdown kamen. So wurde aus dem Stoff, der sonst vielleicht nur ein Aufsatz geworden wäre, ein ganzes Buch mit vielen Zitaten und Be- Schießausbildung mit dem Gewehr auf der Schießanlage der Verseidag. Aktive der Sportabteilung der Verseidag. Die Treffen begannen stets mit dem deutschen Gruß. Aufruf zum Winterhilfswerk vor der Gaststätte legen aus Originalquellen. So stand Dyckx das Tagebuch des Sekretärs von Feldmarschall Montgomery, Sir John Rupert Colville, zur Verfügung. Die Dokumentation gliedert sich in zwei Teile: Teil eins ist das Geschehen in chronologischer Reihenfolge, angereichert mit Zitaten aus Briefen und Beiträgen von Zeitzeugen. Im Teil zwei wird an die Kriegstoten aus Walbeck erinnert, unter anderem mit vielen Totenzetteln und Zitaten aus Feldpostbriefen. Walbeck war von 1933 an ein Nazi-Vorzeigedorf. Der Geburtstag von Adolf Hitler wurde groß gefeiert. Nach einem Hochamt für die im Ersten Weltkrieg Gefallenen wurde von Mitgliedern der SA, SS und des Stahlhelms am Kriegerdenkmal eine „Hitler-Eiche“ gepflanzt. Der Musik- verein spielte das Horst-Wessels- Lied. Bei der Neuwahl zum Reichstag im März 1936 war das Ergebnis eindeutig. Die „Niederrheinische Landeszeitung“ druckte die Schlag- zeile „Stadt Geldern bekennt sich zum Führer“. Es gab nur NSDAP- Einheitslisten, man konnte nur Ja oder Nein ankreuzen. Das Ergebnis in Walbeck: „Für die Liste und damit für den Führer 1572, gegen die Liste und ungültig 8.“ Die Restauration von Heinrich Lamers („Friedenseiche“) hatte die Adresse Adolf-Hitler-Platz. Auch die Antonius-Schützenbruderschaft hielt in der Satzung fest, dass „Mit- glieder nicht Personen sein können, die nicht deutschen oder artverwandtes Blutes sind“. Versammlungen endeten mit einem dreifachen „Sieg Heil auf Führer, Volk und Vaterland.“ Es gab eine Ortsgruppe des Bundes deutscher Mädel (BDM) genauso wie Jungvolk, Jungmädelschaft und die Hitler-Jugend. Und Walbecks Spargel schmeckte auch den Nationalsozialisten. Zum jährlichen Programm der NS-Gemein- schaft „Kraft durch Freude“ in Essen gehörte die Fahrt nach Walbeck. Für fünf Reichsmark gab es neben der Fahrt an den Niederrhein ein Mittagessen, bestehend aus einem Pfund Spargel, einem Viertelpfund gekochtem Schinken, Buttersauce und Kartoffeln. Der Krieg traf Walbeck erstmals am 9. Mai 1940, als die Niederlade angegriffen wurden. Nach dem Beginn der Westoffensive kam es vermehrt zu Fliegerangriffen. An- fang 1942 wurden bei der Verseidag erstmals ukrainische Zwangsarbeiterinnen eingesetzt. Ende November 1944 begann die Evakuierung. Am Samstag, 3. März 1945, rückten US-Truppen von Venlo aus auf Walbeck zu. Um 14 Uhr fuhren Panzerspähwagen ein. Am Kirchturm war ein weißes Tuch angebracht. Bei der Besetzung fiel kein Schuss. „Dieses Buch ist uns ganz wichtig, um ein Zeichen gegen rechts zu setzen“, betont Klaus Schopmans für den Heimat- und Verkehrsverein. Besonders viele Jugendliche seien schon gespannt auf das Werk. „Wenn mein Buch dazu beiträgt, dass die, die bislang der Auffassung waren, dass der Nationalsozialismus keine gravierenden Auswirkungen auf das politische und gesellschaftliche Leben im Dorf gehabt habe, nach der Lektüre ihre Meinung zumindest überdenken, dann hat es senen Zweck bereits erfüllt“, so Dyckx.

Hier bekommt man das neue Buch

Titel „Walbeck unter dem Hakenkreuz“ von Walter Dyckx. Die Ära der NS-Diktatur und ihre Folgen. Eine Dokumentation in Wort und Bild. 212 Seiten. Preis 25 Euro Verkauf Das Buch gibt es bei der Volksbank an der Niers in Walbeck, bei Bücher Keuck in Geldern und beim Heimat- und Verkehrsverein. Kontakt Klaus Schopmans, Telefon 02831 6197.