Mit einem Flammen-Inferno fing alles an

Die Geschichte des Walbecker Gasthauses „Zum Goldenen Kreuz“ reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Nach einem Feuer, von dem das ganze Dorf betroffen war, errichtete der Schöffe Louis Leenen 1780 das Gebäude, in dem sich heute die Dorf-Apotheke befindet.

 

WALBECK Der schmucken Dorf-Apotheke an der Walbecker Straße sieht man ihre 241 Jahre alte und besonders schicksalsträchtige Vergangenheit auf den ersten Blick nicht an. Das Gebäude trägt an der Giebelseite in Eisenankern die Datierung 1780, das Jahr der Errichtung. Damals begann die Geschichte des heutigen Hauses, das viele FacettenWalbecker Dorfgeschichte erlebt hat. 1779 ist der vormalige Familienbesitz des Louis Leenen buchstäblich in Flammen aufgegangen. Es war der 1. April des Jahres, Gründonnerstag, als Hermann Beckx, Pastor von Walbeck, nach Beendigung des morgendlichen Gottesdienstes von seiner „treuen Hausseele und zwei Walbecker Jungfrauen“ jäh in seiner Tätigkeit unterbrochen wurde mit dem Ausruf: „Mynheer Pastoor! Laat gauw de Klock lüje!, `t halve Dörp is al in Flammen...“ Was war geschehen? Im Brackhaus (in dem Flachs zubereitet wurde) des Schöffen Leenen, der sich hauptberuflich als Land- und Gastwirt betätigte, war ein Feuer ausgebrochen und hatte sich bei starkem Ostwind rasend schnell ausgebreitet, sodass Rettung kaum möglich war. Kaplan Josef Maria Jansen schrieb in seinem 1934 veröffentlichen Beitrag „Flammennot in Walbeck“: „Leute rennen, rufen, heulen, Vieh springt über den Kirchplatz und wieder zurück, Pfarrer und Lehrer sind in der Kirche verschwunden, erschreckte Nonnen zeigen sich in den Fenstern über dem Schulraum. Schon bimmelt und wimmert die Glocke über das trübe, schwelende, beizende Durcheinander; Funken sprühen, ganze Strohwische wirbeln durch die Luft.“ Insgesamt 49 Häuser, 30 Scheunen und Ställe, viele strohbedeckt, wurden eingeäschert. Nur die Kirche, die Luziakapelle, die alte Schule (die spätere Kaplanei) sowie einige der 70 bis 80 Häuser mit den dazugehörigen Ställen blieben verschont. Da Leenen zu den finanziell gut gestellten Dorfbewohnern gehörte, war es ihm möglich, bereits ein Jahr nach der Brandkatastrophe ein neuesWohn-/ Gasthaus an alter Stelle zu errichten, das lange als älteste Gaststätte und zweitältestes Bürgerhaus in Walbeck zählte. Um 1900 wurden die zwei nachträglich vergrößerten Gaststättenfenster an der Frontseite sowie die drei Fenster an der Straßenseite mit einer Verglasung in Jugendstil- Ornamentik eingebaut, die Türen und Fenster erhielten Putzrahmen. Seinen Namen verdankt das ehemalige Gasthaus „Zum goldenen Kreuz“ (Inhaber war in den 1930er-Jahren Ludwig Leenen) einem einfachen hölzernen Wegkreuz mit einem Kruzifix aus dem 19. Jahrhundert. Nun tragen Gaststätten oft nüchterne Namen wie die ihres Besitzers oder Inhabers. Aber beim Namen„Zum goldenen Kreuz“ sollte es nicht bleiben. AlteingesesseneWalbecker verpassten der Dorfkneipe schon bald den urwüchsigen Namen „De Penning“, weil sich der Gastwirt Leenen einmal mit seinen Skatbrüdern heftig und nahe einer Rauferei um einen Pfennig bei einer verlorenen Partie gestritten hatte. Leenen warb seinerzeit laut Adressbuch des Kreises Geldern wie folgt für seine Gaststätte: „Schöner Saal für Vereine und Ausflügler, Zentralheizung, Klavier, Billard, Shell-Tankstelle“. Nachdem Ludwig Leenen 1945 starb, führte seine Frau noch einige Jahre die Gaststätte. Im Januar 1954 wurde diese von ihrer Tochter Mechtilde „Tilla“ Schran übernommen. Sie führte den Betrieb zunächst überwiegend alleine, ihr Mann Herbert kümmerte sich als Selbstständiger um seine Metallwarenfabrik in Kevelaer. Einige Jahre zuvor, 1950, war der Saal von der Gaststätte abgetrennt und dort eine Zweigstelle der Post eingerichtet worden. Hinter dem Gasthaus entstand in dieser Zeit auch eine Aral-Tankstelle, wobei noch eine Scheune, die zum Haus gehörte, für Autoreparaturen genutzt wurde. Klaus Schran, der Sohn der neuen Wirtin, erinnert sich an das Kneipenleben während der Nachkriegszeit: „Das war damals eine richtige Dorfkneipe, hier trafen sich jeden Freitag die Arbeiter, wenn sie ihre Lohntüten bekommen hatten. Es war auch ein beliebter Zwischenstopp für viele Gemüsegärtner, wenn sie in der Walbecker Sammelstelle ihre Ware geliefert hatten.“ Auch die Tankstelle spielte für die Gaststätte eine Rolle. „Da wurden damals auch Fahrzeuge gehandelt, so mancherWagenverkauf wurde bei einem Glas Bier besiegelt“, weiß der heute 79-Jährige zu berichten. Bereits im Jahr 1960 sorgte eine Jukebox für Stimmung – das war im Spargeldorf fast schon eine kleine Sensation. Als „Tilde“ Schran 1976 starb, betrieb ihr Mann noch einige Jahre das Gasthaus, ihr Sohn Klaus hatte aber kein Interesse an einer Fortsetzung der Tradition. Er baute neben der Gaststätte ein Wohnhaus und widmete sich der Champignonzucht und dem Spargelanbau. Das Haus verfiel zusehends und wurde, nachdem es noch kurz polnischen Saisonarbeitern als Schlafplatz gedient hatte, zum Ärger des ganzes Dorfes zur Ruine. 2004 erwarb das Ehepaar Mathias und Annemie Cuypers das historische Bauwerk, das in die Denkmalschutzliste der Stadt Geldern eingetragen ist. In etwa zehnmonatiger Bauzeit wurde das Haus im Stil der Zeit seiner Entstehung zurückgebaut. Im Dezember 2004 fand die Eröffnung der darin eingerichteten Dorf-Apotheke statt. Das Spargeldorf erhielt damit ein neues bauliches Schmuckstück, das die Blicke der Besucher auf der Fahrt ins Zentrum auf sich lenkt. Denn die Hauptstraßen des Ortes führen am historischen Bauwerk vorbei.

Essen und Trinken im 18. Jahrhundert:

Geschichtliches Schon im 18. Jahrhundert gab’s in Walbeck einige Schank- und Gastwirtschaften. Reine Schankwirtschaften, die beispielsweise von Landwirten nebenbei betrieben wurden, mussten strenge Auflagen erfüllen. Getränke durften nur zu bestimmten Zeiten zum sofortigen Verzehr verkauft werden – oft befanden sich die Räumlichkeiten in einfachen Bürgerhäusern. In Gastwirtschaften wie „Zum goldenen Kreuz“ durften dagegen auch Speisen serviert werden. Zu

Bild 1: Mechtilde „Tilla“ Schran, eine Nachfahrin des Gründers Louis Leenen, übernahm in den 50er-Jahren die Gaststätte. Hier bewirtet sie ihre Gäste Helmut Schmitz und Erich van de Veen (v.l.).

Zu Bild 2: Lange prägte das Gasthaus an der Walbecker Straße das Dorfbild. Das Gebäude steht seit vielen Jahren unter Denkmalschutz.