Ein Dorf und seine geliebte Delikatesse

Der Aufschwung von Walbeck zu einer beliebten Adresse für Ausflügler und Touristen ist untrennbar mit dem „weißen Gold vom Niederrhein“ verbunden. Die Geschichte des Spargelanbaus beginnt 1928. Seitdem lässt sich der Fortschritt nicht aufhalten.

Von Klaus Schopmans

Lieben Sie Spargel? Von der Mehrheit der Konsumenten am Niederrhein wird die Frage bejaht. Bereits die alten Ägypter schätzten den „Asparagus officinalis“. Sie legten Verstorbenen neben teuren Gewändern und Gerätschaften ganze Bündel des köstlichen Gemüsespargels mit ins Grab. Am Niederrhein entdeckte man die Delikatesse im Mittelalter. Um 1550 wurde er hier erstmals angebaut.

Die Walbecker Geschichte als Spargeldorf begann 1928. Eine Hochkonjunktur setzte in den 50er-Jahren ein, als die Menschen wieder Sehnsucht nach Gaumenfreuden hatten. Damals bauten 312 Spargelbauern auf über 400 Morgen das begehrte Edelgemüse an. Der Spargelanbau war für eine breite Bürgerschicht, die keinen großen landwirtschaftlichen Besitz hatte, ein willkommener Nebenverdienst zur Aufbesserung der noch relativ mageren Gehälter und Löhne. Seit 2014 ist Walbecker Spargel als geschützte Ursprungsbezeichnung eingetragen. Über acht Jahre nach dem ersten Antrag waren vergangen, seitdem die Walbecker Spargelbaugenossenschaft beim Marken- und Patentamt in München ihre 68-seitige Spezifikation eingereicht hatte, um den Markenschutz eintragen zu lassen.

Spargel ist längst zum Kultgemüse avanciert. Alljährlich warten die Verbraucher gespannt auf den Startschuss der Saison, der sich in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter nach vorne verschoben hat. Vor rund 40 Jahren war die Walbecker Spargelwelt noch eine andere, so gab es beispielsweise am 1. Mai 1983 nicht eine Stange Spargel zu kaufen, hatte doch das schlechte Wetter den Spargelbauern einen Strich durch die Rechnung gemacht. Was heute undenkbar ist, nahm 1987 seinen Anfang, als findige Spargelbauern einen Weg fanden, sozusagen der Natur auf die Sprünge zu helfen. Um die Erntezeit etwas vorzuverlegen, also die Saison zu verlängern, griff beispielsweise Christian Neyenhuys zur Folie. Mit einem eigens für die Umsetzung seiner Idee entwickelten Zusatzgerät am Traktor zog der Walbecker eine Spezialfolie (Antikondenzfolie) über die Spargelwälle, die den Blick auf die aus der Erde brechenden Spargelstangen ermöglichte. Zwei kleine Pflugscheiben sorgten dafür, dass Erde auf die Folienkante geschoben wurde, damit der Wind die durchsichtige Schutzhülle nicht fortwehen konnte. Neyenhuys ging zuversichtlich davon aus, mit diesem Verfahren je nach Sonnenbestrahlung der Natur einen zwei bis drei Wochen vorverlegten Erntebeginn abtrotzen zu können. Dieses Verfahren war nicht unbedingt preiswert. Aber trotz der Mehrkosten ging Neyenhuys’ Rechnung auf. Fortan waren die Walbecker Gastronomen auf der sicheren Seite und konnten ihren Gästen das „weiße Gold vom Niederrhein“ pünktlich zum Saisonstart mit Kartoffeln und kernigem Schinken als Beilage servieren.

 

Die beschriebene Neuerung hatte ihren Ursprung in den Niederlanden, wo man schon einige Jahre zuvor beste Erfahrungen damit gemacht hatte. 1998 wurden bereits 25 Prozent der Jahresproduktion am Niederrhein unter Kunststoffbahnen gezogen. Das Verfahren wurde im Laufe der Jahre immer weiterentwickelt. Mit Vlies und schwarz-weißen Folien, zum Teil doppelt geschichtet, werden die Spargelpflanzen heutzutage verfrüht. Die unter den Abdeckungen gebündelte Wärme dringt in den Boden ein, statt in die Luft zu entweichen. Durchsichtige Folien werden genutzt, um den Erntebeginn zu steuern oder zu verfrühen. Schwarze Folien verhindern die violetten oder grünen Verfärbungen der Spargelköpfe. Bei der schwarz-weißen Folie wird, je nachdem wie das Wetter ist, die weiße oder die schwarze Seite nach außen gedreht. Die schwarze Seite wird genutzt, um die Sonnenenergie zu absorbieren und so den Boden zu erwärmen. Die weiße Seite wird verwendet, wenn der Spargel nicht schneller wachsen soll. Sie reflektiert die Sonnenstrahlen, und der Boden bleibt kühler. So hört man in Walbeck schon Anfang März die Traktoren tuckern, wenn die Spargelbauern sich auf die bevorstehende Saison vorbereiten, mit ihren Spezialpflügen Wall auf Wall errichten und damit das für diese Jahreszeit so charakteristische Landschaftsbild Walbecks erzeugen.

 

Der erste Spargel der Saison 2021 wurde vor Mitte April gestochen. Auf den Wochenmärkten des Landes wurden so bereits vor Beginn der offiziellen Spargelernte die zarten und schmackhaften weißen Gemüsestangen zum Kauf angeboten. Ein weiterer Grund, warum sich in der heutigen Zeit schon im März deutscher Spargel auf den Märkten behauptet, ist die Ausweitung der heimischen Anbauflächen. Allein von 2003 bis heute wurden diese im gesamten Rheinland von etwa 270 auf 800 Hektar, in Walbeck von 25 auf 83 Hektar vergrößert. Weil die großen Mengen hier so früh aber noch nicht gestochen werden, handelt es sich auch um Spargel aus wärmeren Ländern, zum Beispiel aus Spanien und Griechenland oder aus Holland, wo Spargel auch im Treibhaus gepflanzt wird, was am Niederrhein aber noch nicht sehr verbreitet ist. Das Stechen ist nach wie vor Handarbeit. Nur in einigen Betrieben, die Spargel auf größerer Fläche anbauen, wie vor allem in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt, werden inzwischen zusätzliche moderne halb- oder vollautomatische Erntemaschinen genutzt. Die höchste Qualität wird jedoch nur bei der Ernte von Hand erzielt, und deshalb von den meisten Betrieben bevorzugt.

 

Früher zogen in Walbeck Einheimische, damals auch Schulkinder, in den frühen Morgenstunden aufs Feld zum Spargelstechen. Mit langen Messern stachen sie die Stangen, bevor die ersten Sonnenstrahlen die Spitzen der weißen Delikatesse färben konnten. Mit der Truffel wurde anschließend der Boden für den Nachwuchs geglättet – die mit einem Holzbügel versehenen Holzkisten dienten auch als Sammelbehälter. Die Zeiten änderten sich. Bereits 1957 hatten die Spargelbauern mit einem Mangel an Arbeitskräften zu kämpfen. Selbst in der gut bezahlten Saison war es schwer, geeignetes Personal zu finden. Seit den frühen 1990er-Jahren stehen in den niederrheinischen Spargelhochburgen Fahrzeuge osteuropäischer Saisonarbeiter, die vielfach aus Polen und Bulgarien kommen. War das Schälen der weißen Stangen in früheren Jahren vor allem in der Gastronomie eine schweißtreibende Arbeit, wird dies heute überwiegend von Spargelschälmaschinen erledigt. Zwecks Rationalisierung des Verarbeitungsprozesses frisch geernteten Spargels wurde 1976 auf dem Spargelhof Allofs in Walbeck erstmals eine Maschine genutzt, die automatisch und schnell die Spargelstangen schälte. Solche Geräte waren ursprünglich für die Nahrungsmittelindustrie entwickelt worden. Knapp 20 Jahre später kamen sogenannte Schälstationen aus Edelstahl zum Einsatz, in denen die Spargelstangen an Rollen, Sensoren und kleinen Messern vorbei glitten und nach computergesteuertem Lauf in Kunststoffkisten gelangten. Solche Maschinen bearbeiten 150 Kilogramm in der Stunde. Die Technisierung ging unaufhaltsam weiter. Heutzutage werden, außer bei den vollautomatischen Schälstationen, beim weiteren Verarbeitungsprozess Sortiermaschinen eingesetzt, mit deren Hilfe die Spargelstangen in verschiedene Klassen eingeteilt werden, je nach Voreinstellung. Sie gehören quasi zur Grundausstattung auf den großen Spargelhöfen, die ihre Produkte auch vor Ort vermarkten.

 

Am 12. März 2020 erreichte die Corona-Pandemie das Gelderland. Das öffentliche Leben kam zum Stillstand. In den Jahren zuvor herrschte in der Spargelsaison im niederrheinischen Grenzgebiet reger Ausflugsverkehr. Liebhaber der Saison-Delikatesse reisten aus allen Himmelsrichtungen an, um in einem der Spargelrestaurants vor Ort den Gaumenfreuden zu frönen. Busunternehmen aus dem Ruhrgebiet boten an den Wochentagen Fahrten zum niederrheinischen Spargelschmaus an. 2019 konnte sich zum Beispiel der Spargelhof Kisters noch über 140 Busse freuen, 2020 waren es nur noch fünf. Die 2019 gekürte Spargelprinzessin Annika Croonenbroeck, die als Botschafterin des guten Geschmacks derzeit ihr „Spargeldorf“ vertritt, und „Spargelgrenadier“ Heinz-Josef Heyer, mussten auf den traditionellen Umzug verzichten. Auch andere Großveranstaltungen sowie von den Spargelhöfen geplante Aktionen mussten abgesagt werden.

 

INFO

Spargel aus Walbeck ist ein Markenzeichen Technischer Fortschritt: 1976 kam auf dem Walbecker Spargelhof Allofs erstmals eine Spargelschälmaschine zum Einsatz. Der Walbecker Christian Neyenhuys sorgte 1986 mit dem Folienspargel für eine Premiere. Exklusiv: Seit dem Jahr 2014 ist Walbecker Spargel als Markenschutz eingetragen. Wachstum: Die Spargelfläche rund um Walbeck hat sich von 2003 bis heute von 25 auf 83 Hektar vergrößert.

Foto 1:Spargelstecher auf den Feldern des ehemaligen Ritterguts Walbeck in den 30er-Jahren.

Foto 2: Spargelschälen in den 1970/80 Jahren in der Gaststätte "Haus Schopmans

Foto 3: Mit der Spargelspinne wird die Folie angehoben und wieder auf die Wälle gelegt. Gestochen wird nach wie vor von Hand.